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Dauerstress: Sei kein Frosch in heissem Wasser

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Das setzt uns alle unter Druck. Denn von uns wird Leistung ERWARTET. In den letzten Jahrzehnten haben wir die gesellschaftliche Erwartungshaltung – nicht zuletzt wegen der Digitalisierung – regelrecht kultiviert. Ein Beispiel: Ich verpasse einen Anruf. Der Anrufer weiss, dass ich auf meinem Handy sehe, dass er versucht hat, mich zu erreichen. Seine Erwartung? Dass ich ihn möglichst sofort zurückrufe. Auch E-Mails und Messenger-Nachrichten verlangen nach einer raschen Antwort. Am besten innerhalb weniger Minuten. Sonst wirkt man womöglich noch unzuverlässig… 

 

In der Arbeitswelt ist der Druck besonders hoch. Wer die Erwartungen nicht erfüllt, verhält sich gegenüber seiner Arbeitgeberin nicht loyal. So die unausgesprochene Volksmeinung. Freiwillige Überstunden, Recherchen in der Freizeit, ständige Erreichbarkeit – das sind Leistungen, die scheinbar einfach dazu gehören. Wer sich dagegen sträubt, wird unmittelbar mit jenen verglichen, die sich fügen. Wer weniger für die Firma tut als andere, bekommt oft das Gefühl vermittelt, er sei faul oder unfähig. Ein toxisches Milieu, mit dem viele von uns leider bereits in der Schule erste Erfahrungen machen.

Vergiftete Erwartungen

Erwartungsdruck wirkt wie Gift. Er lähmt uns langsam, aber sicher. Während Stresshormone uns bei kurzer Belastung helfen, leistungsfähig und fokussiert zu bleiben, haben sie auf Dauer eine ganz andere Wirkung: Ein anhaltender Überschuss von Adrenalin, Cortisol und Dopamin führt zu Schlafstörungen, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Übergewicht, Konzentrationsschwierigkeiten und chronischer Verspannung. Wir werden schmerzanfälliger. Keiner der beschriebenen Folgen ist angenehm.

Wenn an deinem Fuss durch Reibung eine Blase entsteht, handelst du. Du ziehst bei erster Gelegenheit den Schuh aus, um den Druck und somit den Schmerz zu reduzieren. Logisch. Warum erträgst du den mentalen Dauerstress durch die Erwartungshaltung anderer? Diesen «Schuh» ziehst du immer und immer wieder an. Warum?

Wie ein Frosch im heissen Wasser

Wir wissen alle, dass langanhaltender Stress nicht gut für uns ist. Und tun – nichts... Seit unserer Kindheit hat der Druck zugenommen. Langsam, aber stetig. Als Erwachsene verhalten wir uns schliesslich wie ein Frosch, der in Wasser sitzt, das langsam erhitzt wird: Wir verharren – auch wenn es brenzlig wird – in einer Art Schockstarre. Stressige Situationen nehmen wir nicht mehr als Ausnahmezustand war. Stress ist «normal». Wer nicht damit zurechtkommt, wird mit schlechtem Gewissen bestraft, ist schwach, entsprich nicht der Norm. Doch wer hat diese kranke Normalität zur Regel gemacht?

Ja, unseren Lebensstil zu ändern ist schwierig. Wir sind nun mal Teil dieser Gesellschaft. Gewisse Strukturen sind fast untrennbar mit unserem System verwoben. Viele Glaubenssätze wurden uns über Jahre eingebläut. Wir haben Erwartungshaltungen von Vorbildern – Eltern, Lehrpersonen und anderen wichtigen Menschen in unserem Leben – übernommen. Den Preis den wir als Gesellschaft dafür bezahlen? Ein flächendeckender Mangel an gesundem Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und Selbstliebe. Wir strengen uns an, damit uns andere lieben. Und vergessen dabei die Person, die uns am nächsten ist – uns selbst.


In meiner Arbeit als Hypnose-Therapeut lerne ich immer wieder Menschen kennen, die Schwierigkeiten haben, für sich selbst einzustehen und Entscheidungen zu treffen, ohne gleichzeitig anderen gefallen zu wollen. In der Therapie brechen sie bei den Worten «Du bist genauso wichtig, wie alle anderen. Du bist genauso wertvoll, wie alle anderen!» in Tränen aus. Es sind Menschen, wie du und ich. Und es sind viele. Niemand würde von ihnen diese Reaktion erwarten. Die meisten von ihnen verstehen Selbstliebe völlig falsch. Es geht nicht darum zu einer narzisstischen, egozentrischen Person zu werden. Sondern darum sich selbst mit allen Ecken und Kanten zu akzeptieren, Entscheidungen aus innerer Überzeugung treffen zu können und hundertprozentig dahinter zu stehen. Und um die Einsicht, dass man fremden Erwartungshaltungen nicht zwingend entsprechen muss.

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